Problem Weltraumschrott: Billionen Trümmerteile im Orbit

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Problem Weltraumschrott: Billionen Trümmerteile im Orbit

abenteuer-sterne.de im Gespräch mit Experten & Wissenschaftlern

Dr.-Ing. Carsten Wiedemann
Über unseren Köpfen kreisen mittlerweile bis zu 1000 aktive Satelliten. Erdnahe Satelliten befinden sich in einigen hundert Kilometer Höhe, haben eine Kreisbahn-Geschwindigkeit von knapp 8 km/s (ca. 28.000 km/h) und benötigen somit für einen Erdumlauf ca. 90 Minuten. In Höhen um die 22.000 km ziehen vorwiegend Navigationssatelliten (GPS, Galileo) ihre Bahnen. Sie sind mit gut 3,6 km/s (ca. 13.000 km/h) unterwegs und benötigen um die 14 Stunden für einen Umlauf. Und schließlich, in knapp 36.000 Kilometer Höhe, die sogenannten geostationären Satelliten (Wetter-, Kommunikations- und Fernsehsatelliten). Sie stehen genau über dem Erdäquator und folgen mit einer Geschwindigkeit von gut 3 km/s der Erdrotation, so dass sie im Idealfall immer genau über demselben Punkt bezogen auf die Erde stehen. Sie benötigen für einen Umlauf knapp 24 Stunden.

Doch alle diese Satelliten haben stille Begleiter bzw. bekommen immer mehr davon. Nämlich in Form von unzähligen Trümmerteilen, die aus verschiedensten Kollisionen stammen, die im Erdorbit stattfanden. Das Problem: Diese Schrottteile haben sehr hohe Relativgeschwindigkeiten (bis über 50.000 km/h), so dass schon ein kleines Teilchen ausreicht, um einen Satelliten zu schädigen oder gar vollständig zu zerstören. Die Internationale Raumstation (ISS) musste wegen dieses Weltraumschrottes bereits mehrmals ausweichen und auch schon komplett evakuiert werden.

Doch woher kommen diese massenhaften Schrottteile, wie viele kommen in welcher Größe vor und wie hoch ist ihr Gefährdungspotential? Gar eine tickende Zeitbombe? Und vor allem: was kann man gegen diese Art der Umweltverschmutzung eigentlich tun?

abenteuer-sterne.de sprach darüber mit Dr.-Ing. Carsten Wiedemann, Gruppenleiter für das Thema Weltraumschrott am Institut für Raumfahrtsysteme an der TU Braunschweig.

abenteuer-sterne.de: Herr Wiedemann, wie gefährdet sind Satelliten durch Weltraumschrott?

Das hängt natürlich von der Größe, der Geschwindigkeit und dem Einschlagwinkel des Schrottteiles ab. In 800 bis 900 Kilometer Höhe halten sich die meisten Satelliten auf. Folglich ist hier das Gefährdungspotential am größten. Ein Projektil ab etwa einem Zentimeter Größe kann einen Satelliten bereits außer Funktion setzen. Die Energie des Aufpralls auf den Satelliten entspricht in etwa dem eines Mittelklassewagens, der mit einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometer in den Satelliten donnert. Bei Objekten schließlich, die zehn Zentimeter und größer sind, würde der Satellit sogar komplett auseinander gerissen werden. Doch laut der US-Raumfahrbehörde NASA sorgen schon millimetergroße Projektile dafür, dass Schäden entstehen. So müssten immer wieder Scheiben von Raumschiffen ausgetauscht werden. Unter anderem leiden beispielsweise auch die Solarpanelen des Hubble-Weltraumteleskop unter diesem Mini-Teilchenbeschuss, das die Erde in circa 600 Kilometer Höhe umrundet.

Kennt man denn die Gesamtmenge des Weltraumschrottes?

Ja, das wissen wir mittlerweile relativ genau. Wir haben es mit etwa 6000 Tonnen Schrott im Erdorbit zu tun. Dieser reicht von kleinsten Teilchen im Mikrometer-Bereich bis hin zu kühlschrankgroßen Brocken. Etwa 17.000 dieser Schrottteile, nämlich diejenigen ab circa zehn Zentimeter Durchmesser, sind über das Space Surveillance Network des US-Militärs mithilfe von bodengestütztem Radar ermittelt worden und in einer frei zugänglichen Liste (TLE-Bahndatenkatalog) veröffentlicht. Hinzu kommen aber vermutlich einige tausend weitere Objekte, von denen die exakte Herkunft und Bahn ungenau sind. Insgesamt stellt sich das Ausmaß des Weltraumschrottes in etwa so dar: 29.000 Schrotteilchen sind größer als zehn Zentimeter. 60.000 größer als fünf Zentimeter. 700.000 größer einen Zentimeter und 200 Millionen Stück größer als einen Millimeter. Die Speerspitze mit Billionen von Objekten sind schließlich diejenigen, die größer als 0,1 Millimeter sind. Kurzum: wir haben es mit einer riesigen Anzahl zu tun.

Die großen Partikel sind aber die problematischeren, oder?

Ja und Nein. Die größeren Teile haben zwar eine viel zerstörerische Energie. Doch eine Kollision mit solchen kommt deutlich seltener vor. Nehmen wir einen Durchschnitts-Satelliten. Er hat eine Fläche von 20 Quadratmetern, hält sich in 800 bis 900 Kilometer Höhe auf und hat eine Lebensdauer von sieben Jahren. Die Wahrscheinlichkeit, dass er von einem ein Zentimeter großen Projektil getroffen wird und dadurch nicht mehr funktioniert, liegt bei gerade vier Prozent. Je höher die Bahn, desto unwahrscheinlicher wird eine Kollision. Ganz anders im Mikrometer-Bereich. Denn dann reden wir nicht mehr von einer Einschlags-Wahrscheinlichkeit, sondern von einer Einschlags-Rate. Gehen wir von 100 Mikrometer (= 0,1mm) großen Partikeln aus, muss man mit zehntausenden Einschlägen in diesen sieben Jahren rechnen.

Wie ermitteln Sie denn diese Menge und insbesondere die der Mikroteilchen?

Wie schon erwähnt, sind Schrotteile mit zehn Zentimeter Größe gut via bodengebundenem Radar zu beobachten. Bis hinauf in die geostationären Bahnen ermöglichen dies auch noch erdgebundene Teleskope. Doch dann ist Schluss. Und hier kommen wir mit unserem Institut ins Spiel. Wir ermitteln nämlich alle nichtsichtbaren Projektile. Dies erfolgt mithilfe von Computer-Simulationen. Zur Validierung gleichen wir jede permanent mit real ermittelten Messdaten ab, die aus verschiedensten Kampagnen weltweit vorliegen. Unter anderem eben diejenigen aus dem TLE-Bahndatenkatalog. Doch gerade im Kleinstbereich liegen weltweit kaum Daten vor. Eine der wenigen Quellen stammt beispielsweise aus der Analyse der Einschläge von Kleinstteilchen in die Solarpanelen des Hubble-Teleskops. Auf diese Daten haben wir Zugriff und lassen sie ebenso einfließen. Letztlich simulieren wir mit den Rechnern auf Basis eines von uns entwickelten Software-Tools jedes weltweit registrierte Ereignis, das Weltraumschrott produzierte – unter anderem also Raketenstufen- und Satellitenexplosionen, Kollisionen oder auch Schlackepartikel aus Feststoffraketenmotoren und so weiter. Danach produzieren wir entsprechende Trümmerwolken und rechnen weiter, wo sich die Objekte dann zu einer bestimmten Zeit aufhalten werden. Durch diese so gewonnenen riesigen Teilchenpopulationen lassen wir anschließend Satelliten fliegen und schauen uns an, wie viele Partikel aus welcher Richtung auf den Satelliten einschlagen. Zuletzt erfolgt der Abgleich mit echten Messdaten, soweit uns diese jeweils vorliegen. Ist unser Model im Bereich der Kleinstpartikel dann schließlich richtig kalibriert, können wir es in Bahnhöhen einsetzen, die von der Erde aus gar nicht mehr beobachtet werden können – zum Beispiel auf geostationären Bahnen. Derzeit sind wir übrigens die einzige Forschergruppe weltweit, die das bis zu einer Partikelgröße von einem Mikrometer darstellen kann.

Gab es denn bislang überhaupt schwerwiegendere Kollisionen?

Bislang glücklicherweise kaum. Letztmals krachten im Jahr 2009 ein ausrangierter russischer mit einem noch aktiven amerikanischen Satelliten zusammen und zersplitterten in viele tausend Teilchen, die nun als große Trümmerwolke die Mutterkörper im Erdorbit begleiten. So etwas bezeichnet man dann als katastrophale Kollision. Absichtlich herbeigeführt wurde eine solche durch die Chinesen. Sie schossen 2007 eine Rakete zu Testzwecken auf einen ihrer Wettersatelliten in knapp 900 Kilometer Höhe und verursachten dadurch über 3000 Projektile. Zusammen mit denen aus dem Satelliten-Crash machen diese übrigens insgesamt etwa 30 Prozent aller von der Erde aus beobachten Schrottteile aus. Eine solche katastrophale Kollision, bei der ein großer Satellit zersplittert wird, tritt im Durchschnitt nur alle fünf bis neun Jahre auf. Also eher selten. Zumindest bisher …

Ist die große Menge an Weltraumschrott eine tickende Zeitbombe?

Nun, die Trümmerdichte ist in 800 Kilometer Höhe mittlerweile so enorm, dass die Objekte gegenseitig kollidieren können und somit noch viel mehr Müll produziert wird. Infolge kann es viel häufiger zu solchen katastrophalen Kollisionen kommen. Damit dann noch mehr Trümmerteile, und so weiter, und so weiter. Das Ganze kann definitiv eine regelrechte Kettenreaktion auslösen, die – einmal in Gang gebracht – kaum mehr zu stoppen ist, sich über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte erstrecken kann und natürlich einen immensen wirtschaftlichen Schaden nach sich ziehen würde, der nicht zu beziffern ist. Somit kann man schon von einer tickenden Zeitbombe sprechen, die in jedem Fall Ernst zu nehmen ist. Jetzt ist es noch möglich einzugreifen. In mehreren Jahrzehnten sicherlich nicht mehr. Deswegen denkt man darüber nach, in diesem Höhenbereich potentielle Hochrisikoobjekte zu entfernen. Diese würden dann nicht mehr als mögliche Kollisions-Kandidaten zur Verfügung stehen.

Und was kann man tun?

Der Idealfall wäre, diese Kandidaten kontrolliert abstürzen zu lassen, so dass sie nicht nur in der obersten Atmosphärenschicht möglichst vollständig verglühen, sondern sich das Ganze auch noch über dem Pazifik zutragen würde, wo eben nur Wasser ringsum ist. Das Abstürzen realisiert man insbesondere so, indem ein Satellit zu dem betreffenden Objekt geflogen wird, der an diesem dann ankoppelt und ein Triebwerk anbaut. Mit diesem kann schließlich ein Bremsschubimpuls erfolgen, der das Ziel-Objekt dann in seiner Bahn weit genug absenkt. Diesbezüglich wird mittlerweile weltweit viel geforscht. Doch muss man auch bedenken, dass man da nicht einfach hoch kann und fremde Satelliten entfernen. Insbesondere das Militär beobachtet hier bzgl. der eingebauten Technologien natürlich sehr genau, was geschieht. Doch bei den Forschungen und Entwicklungen geht es unter anderem auch darum, Müll durch intelligente Technologien grundsätzlich zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Aber auch, keine hochhitzebeständige Materialien mehr zu verbauen, die ein vollständiges Verglühen ausschließen würden. Und ein großes Thema ist auch, dass im All aufgeräumt werden muss ….

Das Interview führte Manuel Philipp (Dipl. Ing. FH)
für abenteuer-sterne.de

Hinweise zum Beitragsfoto: Das Foto oben zeigt eine künstlerische Darstellung der Verteilung des Weltraummülls um die Erde. Dieser reicht von kleinsten Teilchen im Mikrometer-Bereich bis hin zu kühlschrankgroßen Brocken. Insgesamt befinden sich Billionen von Schrottteilchen im Erdorbit.

Hier gibt es ein Video, das in einem ästhetischen verfremdeten Zeitraffer visualisiert, wie sich im Laufe der Jahrzehnte der Weltraummüll um die Erde vergrößert ha: ► VIDEO Weltraumschrott Entwicklung

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