Entstehung & Entwicklung sehr massereicher Sterne

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Entstehung & Entwicklung sehr massereicher Sterne

abenteuer-sterne.de im Gespräch mit Experten & Wissenschaftlern

Dr. Christian Hummel
Dr. Christian Hummel

Über die frühen Entwicklungsstadien massearmer Sterne (wie beispielsweise unsere Sonne), weiß die Wissenschaft dank umfangreicher Forschungen mittlerweile schon sehr gut Bescheid.

Ganz anders bei massereichen Sternen. Sie kommen deutlich seltener vor, ihre Entwicklungszeit und ihr Leben sind erheblich kürzer, sie entstehen so gut wie immer in Sternhaufen und sie sind überwiegend deutlich weiter entfernt von uns. Faktoren, die die Erforschung solcher Sterne erschwert und die Wissenschaft vor Herausforderungen stellt. Doch genau diese Sterne sind für die Forscher so interessant, weil massereiche Sterne erheblichen Einfluss auf ihre unmittelbare Umgebung haben.

abenteuer-sterne.de sprach darüber mit dem promovierten Astronom und Experten für stellare Astrophysik Dr. Christian Hummel von der Europäischen Südsternwarte (ESO)

abenteuer-sterne.de: Herr Hummel, was unterscheidet den Entwicklungs-Prozess massearmer von massereichen Sternen?

Sterne bilden sich aus großen, kalten, leicht rotierenden Wolken, die aus Gas und Staub bestehen. Wobei der Anteil des Staubs nur rund ein Prozent der Masse der Wolke ausmacht. Den Rest nimmt für sich das überwiegend wasserstoffhaltige Gas in Anspruch. Solche Wolken, die durchaus bis zu mehrere 1000 Sonnenmassen haben können, gibt es in den Spiralarmen von Galaxien sehr viele. Falls nun die Bedingungen in so einer Wolke passen – sprich ausreichend niedrige Temperatur von etwa zehn bis 30° Kelvin herrschen (Anmerkung: das sind um die -250°C) – „verklumpen“ an vielen Stellen winzige Teilgebiete und schließlich sorgt die immer größer anwachsende Schwerkraft dafür, dass kleine Kerne entstehen, die in ihrer weiteren Entwicklung zu sogenannten Protosternen anwachsen. Die Temperatur steigt sukzessive und die Wolken um den Protostern herum ändern ihre bis dahin sphärische Gestalt in eine abgeplattete Scheibenform. Die so genannte Akkretionsscheibe entsteht. Das Material wird langsam in Richtung Protostern transportiert und erwärmt sich dabei durch Reibung stetig. Irgendwann ist es heiß genug, die Kernfusion setzt ein und damit ist die Sternentstehung abgeschlossen. Weil immer weniger Masse in der Scheibe ist, kommt gleichzeitig auch die Akkretion zum Erliegen und kann sozusagen in ein Planetensystem übergehen.

Und genau diese Scheibenbildung um den entstehenden Stern konnten wir erst vor kurzem mit unseren Teleskopen bzw. unserem Teleskopverbund in Chile (Stichwort ALMA) direkt beobachten. Wir sehen dabei sogar die Lücken in den Scheiben, die höchstwahrscheinlich durch sich ausbildende Planeten verursacht werden, die ihre Bahn um den Stern freigeräumt haben.

Ganz anders bei massereichen Sternen – also solchen jenseits von acht Sonnenmassen. Insbesondere deren Kontraktionsphase verläuft derart schnell, dass diese schon Kernfusion betreiben, noch bevor die Akkretion abgeschlossen ist. Durch die hohen Oberflächentemperaturen dieser O-Klasse Sterne – wir reden hier von 30.000 bis 40.000 Kelvin Oberflächentemperatur – da ergibt sich eine sehr hohen UV-Strahlungsdruck. Demzufolge kann es bei massereichen Sternen nicht so einen sphärischen Einfall der Materie geben, wie das vor einigen Jahrzehnten noch angenommen worden ist. Denn die starke Strahlungsintensität vertreibt die Gaswolken um Stern herum sofort. Zudem würde die Akkretion stoppen.

Das heißt, die Scheibenausbildung verläuft bei diesen Sternen anders?

Das genau ist die Frage, die es durch Forschung gilt zu beantworten. Wären nämlich die Akkretionsraten für alle Sterne gleich, dann würde dieser enorm hohe Strahlungsdruck die Entstehung massereicher Sterne schlichtweg verhindern. Doch es gibt sie ja. Man kann also nicht einfach nur die Vorgänge in massearmen Sternen hochskalieren, eben wegen dem Vorhandensein dieses UV-Strahlungsdruckes um massereiche Sterne. Und beobachten können wir die Scheibenausbildung leider bislang auch kaum bis gar nicht, weil das gesamte sichtbare Licht durch den umgebenden Staub und das Gas verschluckt wird. Neue Simulationen zeigen nun, dass wenn diese Scheiben genug Masse haben, die Akkretion trotzdem weiterlaufen kann. Und es muss eine irgendwie geartete Scheibenstruktur ausgebildet werden. Denn würde Gas und Staub sphärisch um den Stern verteilt sein, würde diese Sphäre den gesamten Strahlungsdruck des Sterns aufnehmen müssen. Bei einer Scheibenstruktur hingegen verlässt die Energie das System, weil die von der Scheibe aufgenommenen UV-Photonen senkrecht zur Scheibenebene als Infrarotstrahlung abgestrahlt (reemittiert) wird. Damit ist Materie noch relativ kalt, kann nah an den Stern herankommen und schließlich vom Magnetfeld des Sterns „eingefangen“ werden.

Das ist aber alles noch Theorie, weil man die Scheiben mithilfe von Teleskopen noch nicht genau abbilden hat können. Und damit ist auch die genaue Temperatur-Struktur noch unbekannt.

Wohin geht also dann die Reise bei der Erforschung solcher Sterne?

Solche großen, jungen, massereichen O-Klasse Sterne findet man am häufigsten in Sternentstehungsgebieten. Sie sind zwar sehr hell – 10.000-mal heller als unsere Sonne – jedoch einige hundert bis viele tausend Lichtjahre entfernt. Somit braucht es damit ein entsprechend hohes räumliches Auflösungsvermögen, das die Teleskope aufweisen müssen. Natürlich untersuchen wir mit speziellen Infrarot-Teleskopen und -Detektoren schon seit Jahren entsprechend relevante Gebiete am Himmel. Einen richtigen Vorstoß wird uns aber das Projekt ALMA bringen. Neben uns sind daran auch die Organisationen NRAO aus den USA und NAOJ aus Japan beteiligt. Mit ALMA werden mehrere Radioteleskope zu einem Verbund zusammengeschaltet, die das Auflösungsvermögen stark erweitern. Und weil wir im (Sub-)Millimeterbereich untersuchen, können wir glatt durch solche Wolken durchsehen und viele, sehr wichtige Details erkennen. Beispielsweise sind so auch die Massen solcher Regionen zu ermitteln.

Damit haben wir dann endlich Bilder, die uns Aufschluss bezüglich der Akkretions-Scheibenstruktur und -Entwicklung zeigen. Ebenso gewinnt man Erkenntnisse bezüglich der Konfiguration des Staub und Gases um massereiche Sterne herum. Interessant ist das natürlich auch im Hinblick auf die Tatsache, dass solche Sterne durch die Explosion am Ende ihres Lebens nicht nur junge Sternentstehungsgebiete wieder zerstören können, sondern die heftige Explosions-Stoßwelle in kalten Gas- und Staubwolken neue Sternbildung anregen kann.

Das Interview führte Manuel Philipp (Dipl. Ing. FH)
für abenteuer-sterne.de

Hinweise zum Beitragsfoto: Die Aufnahme der ESO im nahen Infrarotlicht zeigt den Emissionsnebel NGC 3603 im Sternbild Kiel des Schiffes in rund 21.000 Lichtjahren Entfernung zu uns. Junge, heiße, massereiche Sterne (Klasse B und Klasse O) sind wesentlicher Bestandteil des Sternhaufens in der Bildmitte. Deren intensiver Strahlungsdruck hat das Gas und den Staub, in dem sie einst eingebettet waren entstanden sind, weggeblasen. Auf der linken Seite sieht man diese Wolke noch. In ihr entstehen immer noch neue Sterne. Sie erscheinen wegen der sie umhüllenden Gas- und Staubschicht rötlich.
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